Interview mit Mike Graf und Kai Wörner - #BayernEdu

Seit ein paar Monaten tauschen sich mittlerweile schon Lehrer via Twitter auf dem Hashtag #BayernEdu aus. Dabei geht es meist um den Austausch von Unterrichtsideen, Anregungen oder auch Diskussionen rund um das Thema "Digitale Bildung". Weiterführende Gedanken und Ideen findet man auch auf diesem extra eingerichteteten Blog der Community. Ich habe zwei der twitternden Protagonisten zu Ihren Beweggründen und Ideen befragt. Herausgekommen ist dieses Interview mit Kai Wörner von der Realschule am Europakanal Erlnagen und dem Schulleiter der Realschule Schöllnach Mike Graf

Mit Euren Schulen seid ihr beim Projekt „Digitale Schule 2020“ dabei. Ihr selbst habt dabei eine tragende Rolle inne. Wie war eigentlich Euer Lehrerleben ohne digitale Medien und Twitter?

Mike: Ich habe mit dem Begriff “tragende Rolle” ein Problem, denn wie auch für #BayernEdu ist die Community das einzig tragende Element. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ein solches Leben gab es bei mir eigentlich nie, denn diese waren seit meiner eigenen Schulzeit ein Hobby, das ich gern und überall miteinfließen hab lassen. Aber mir ist durchaus bewusst, dass es auch KollegInnen gibt, die nicht dieses Hobby haben - das halte ich nicht nur für unproblematisch, sondern für gut. Bunte Vielfalt schafft viele Angebote und macht das ganze erst interessant.

Kai: Bei mir war das durchaus ein wenig anders. Privat habe ich lange relativ wenig von Sozialen Netzwerken gehalten, obwohl ich schon seit 2011 in iPad-Klassen unterrichte und damit wohl irgendwie schon eine gewisse Medienaffinität habe. Als ich mich dann doch irgendwann bei Twitter angemeldet habe, hat das aber meinem Unterricht schon einen gewissen Schub gegeben, da man viele Kollegen „getroffen“ hat, die digital arbeiten. Das motiviert mich, immer noch, enorm über Unterricht nachzudenken und mich darüber auszutauschen. Auch Fortbildungen und echte reale Kontakte sind dann im Laufe der Zeit entstanden. Es ist wohl wie bei vielen anderen Dingen: Wenn man einmal Spaß daran gefunden hat, dann bleibt man dabei.

 

Wäre der Hashtag BayernEdu ein Schiff, wäret Ihr beiden wohl heiße Anwärter auf die Gallionsfigur. Könnt Ihr vielleicht kurz erklären, was den Hashtag heute ausmacht?

Kai: Der Hashtag, das möchte ich besonders betonen, steht allen offen, egal woher sie kommen oder was sie auch immer zu unserem Thema beitragen wollen. Schon die Gründung verlief kollaborativ (4K ;)) über ein Zumpad, insofern braucht es auch keine Hierarchien. Wenn die Leser dieses Interviews nach dessen Lektüre bei uns mitmachen wollen - liebend gerne!

Mike: Wenn mit Gallionsfigur gemeint ist, dass wir von Anfang an dabei waren, dann mag das stimmen. Aber das gilt für viele andere hier auch. Und das ist es auch, was #BayernEdu ausmacht: Es ist eine Community, die sich selbst nicht zu wichtig nimmt und ein schlichtes Ziel verfolgt: Agil und praxisnah Erfahrungen und Erkenntnisse zu gutem Unterricht weiterzugeben bzw. miteinander zu teilen. Was mich am meisten freut: Dass hier Teamplay groß geschrieben wird, das “Zwischenmenschliche” passt (obwohl ich die meisten nur “digital” kenne ;) )  und ich nie das Gefühl habe, dass hier Neurosen eine Rolle spielen!

Kai: Mike, du hast definitv recht! Was ich aber spannend finde ist, dass man die meisten Kollegen real dann mindestens genauso sympathisch findet, wie virtuell. Mein subjektives Bild, das ich mir von manchen via Twitter gebildet habe, ist wirklich sehr oft auch in der Realität stimmig.

 

Ist es nicht traurig, dass sich technikbegeisterte Lehrer bei Twitter treffen müssen, um sich über Unterricht austauschen zu können?

Mike: Es ist zum Glück nicht die einzige Möglichkeit des Austausches. Aber wenn Du damit forderst, dass diesem Austausch auf verschiedenen Ebenen größerer Freiraum eingeräumt werden muss, dann hast Du zu 100% Recht! Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass wir mit einem (Fortbildungs-)System aus den 50er Jahren auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht adäquat reagieren können. #BayernEdu ist eine solche Reaktion, die allerdings nicht ganz zu Unrecht von einem Kollegen mal als “digitales Rettungsboot” bezeichnet wurde. Insofern hat die Frage mehr als nur eine Berechtigung.

Kai: Andererseits muss man auch sagen, dass sich in Sachen Fortbildung schon auch ein paar Fortschritte ergeben haben. Momentan gibt es so viele Events, dass man sich fast fragen muss, ob nicht andere wichtige schulische Themen etwas vernachlässigt werden. Ob diese Präsenzveranstaltungen allerdings ausreichen, um den „digitalen Wandel“ zu gestalten? Ich denke nicht! Das Thema ist so mächtig, dass man sich damit kontinuierlich befassen muss und doch nur schwerlich up to date bleibt. Wenn dann mal - wie jeder, der digital unterrichtet, sicher bestätigen kann - eine gewisse Frustration eintritt, weil man z. B. technische Probleme bei der Unterrichtsvorbereitung hat, dann braucht man adhoc Hilfe und Kollegen, die man gleich etwas fragen kann. Und genau da setzt #BayernEdu an - irgendjemand weiß immer Rat!

 

In der Jim-Studie wurde geschrieben, dass 31 Prozent der befragten SchülerInnen ihr Smartphone im Unterricht verwendet haben. Geht’s jetzt los?

Kai: Was genau geht los? Wie wurden diese verwendet? Warum „nur“ Smartphones? Fragen über Fragen, die ich auch nicht spontan beantworten kann. Was ich aber sagen kann ist, dass ich noch sehr selten Kollegen getroffen habe, denen ihr Unterricht mit digitalem Content weniger gut als ihr traditionelle gefallen hat. Wenn Lehrer diesen Schritt einmal gegangen sind, dann wird sich auch etwas in Richtung Digitaliät tun. Mit dem Grundsatz „ergänzen statt ersetzen“ bin ich persönlich immer ganz gut gefahren. Mich treibt in diesem Zusammenhang allerdings immer noch eine andere Frage um: Wenn Schule nicht mehr wie früher der einzige Ort ist, an dem Bildung stattfindet, schafft sich diese Institution langfristig nicht von selber ab, wenn sie diese und andere Zahlen ignoriert oder sich damit zufrieden gibt.

Mike: Ich bin mir nicht sicher, wie ich die Zahl interpretieren soll: Zum einen würde das heißen, dass knapp ein Drittel bereits im Unterricht den Vorteil dieser extrem leistungsstarken Geräte nutzt. Zum Anderen aber sagt die Zahl auch, dass zwei Drittel die Möglichkeiten nicht nutzen (können), was schon bedenklich erscheint. Allerdings sollte man bei all der Begeisterung zwei Sachen nicht vergessen: Allein die Tatsache, dass man ein Tablet/Smartphone im Unterricht nutzt, heißt nichts. Denn schlechter Unterricht digitalisiert, ist immer noch schlechter Unterricht. Und daran anschließend: Das Entscheidende für mich ist: Es muss beim Schüler etwas ankommen! Der Schüler muss durch die digitalen Hilfsmittel besser/effektiver/leichter …  lernen können. Aber um die Frage zu beantworten: Aktivitäten wie #BayernEdu oder diverse Veranstaltungen zu dem Thema und deren Zuspruch zeigen, dass sich etwas bewegt. Die Frage nach dem Losgehen ist da zweitrangig.

SAMR, ZeitgemäßeBildung, Flipped Classroom, gamification, KomptenzKompetenz,… Wohin geht für Euch der Weg der Bildung und wie nehmt Ihr Eure Kollegen mit?

Mike: Wenn ich auf den ersten Teil der Frage eine belastbare Antwort hätte, könnte ich wahrscheinlich eine Menge Geld verdienen ;) . Aber um solche Aussagen seriös tätigen zu können, fehlt mir in diesem Bereich die Konstanz. Die Entwicklung ist so rasant, dass ein Werkzeug, das heute noch angesagt ist, bereits morgen überholt sein kann. Das gilt für Hardware (Beispiel: Netbooks) wie für Software (Beispiel: Eine App wird kurzfristig kostenpflichtig). Relativ sicher ist für mich: Die klassischen Prüfungsformen werden mittelfristig keine Zukunft haben. Hier werden wir uns weiterentwickeln müssen … und das schneller, als das manch einer glauben mag.
Ein Kollegium mitzunehmen heißt für uns, die Kollegen durch Beispiele und Transparenz im Handeln zu gewinnen. Dabei gilt es, behutsam vorzugehen und nicht die “Analogen” gegen die “Digitalen” auszuspielen. Es darf - wie so oft zurecht betont wird - kein EntwederOder, sondern nur ein SowohlAlsAuch geben. Ich bin jedoch weit davon entfernt, mir die Aussage anzumaßen, dass wir bei uns an der Schule das Ziel erreicht haben. Das müsstest Du die Kolleginnen und Kollegen fragen!

Kai: Kollegen mitnehmen geht bei uns über SchilFs und ein ausgeklügeltes Patensystem, für das wir die nötigen Ressourcen durch den Schulversuch haben. Gerade die kleinen Dinge wirken manchmal Wunder. Im letzten Sommer habe ich mit einem Kollegen in seiner 5. Klasse eine Art Teamteaching gemacht und eine Deutschstunde mit dem iPad gehalten. Seit dieser Stunde ist er für das Thema sehr aufgeschlossen, nutzt unsere digitale Infrastruktur, bringt eigene Ideen ein und integriert aktuelle Inhalte aus dem Internet in seinen Unterricht. Genau so sollte das aus meiner Sicht laufen, wenn ich auch weiß, dass an anderen Standorten das so nicht 1:1 übertragbar ist. Zum 2. Teil der Frage würde ich ergänzen wollen, dass ich es ebenso wenig weiß. Die oben geschilderte positive Haltung ist für mich in Zukunft entscheidend. Wenn Lehrer Angebote und Anreize bekommen sich mit der Unterrichtszukunft zu beschäftigen, dann kann sicher einiges Gutes entstehen, wovon wir heute noch keine Ahnung haben, dass es existiert. Fakt ist: Unsere jetzigen Schüler gehen 2070 in Rente. Wir Lehrer haben die Pflicht, sie auf diese sich schnell verändernde Welt einigermaßen vorzubereiten, damit sie in ihr mündig agieren können.

 

Kai ist Seminarlehrer und gefragter Referent, Mike Schulleiter und arbeitet immer wieder in Arbeitskreisen des Kultusministeriums mit. Habt Ihr nicht Angst, dass Euch irgendwann einmal die Puste ausgeht? Oder lebt Ihr für die Schule?

Kai: Ich bin einfach gerne Lehrer und an den meisten Tagen macht mir der Job auch viel Freude. Gerade auch immer dann, wenn ich auf Fortbildungen ehemalige Referendare von mir treffe:)! Noch hält meine Puste durch, hoffentlich genauso wie die des 1. FCN im Aufstiegskampf in die Bundesliga. Der Club hat nämlich im Zweifel schon noch Vorrang, wenn es um die Work-Life-Balance bei mir geht. Und gerade in Zeiten gehäufter Arbeitsbelastung tut ein Clubsieg manchmal so gut, dass der Montag und teilweise sogar noch der Dienstag fast schon spielerisch von der Hand geht.

Mike: Was dem Kai sein Glubb, ist bei mir der FCB und das Handballteam des HC Erlangen, mit dem ich zur Zeit nicht viel zu lachen habe. ;) Beruflich mag es vielleicht abgedroschen klingen, aber wir haben an der Schule ein hervorragendes Team, das fachlich wie menschlich passt und für das ich extrem dankbar bin. Es gibt bei uns keine Alleingänge oder One-Man-Shows, niemanden, der sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Daher bleibt für jeden (hoffentlich!) genug Freiraum, um sich auf seinem Gebiet engagieren zu können. Wenn das Teamplay und das Miteinander stimmen, dann ist vieles möglich, dann bleiben die Reibungsverluste gering. Was nicht geht und mich zum Gehen veranlasst, sind Selbstdarsteller und Neurotiker, die (meist) ohne große Substanz Effekthascherei betreiben. Das Ärgerliche dabei: In unserem Handlungsfeld hat die beschriebene Spezies besonders leichtes Spiel, weil gerade in höheren Kreisen das Fachwissen fehlt und dadurch Blenderei begünstigt wird.