Heute muss ich mal etwas beichten. Wobei das eigentlich ein schlechtes Wort ist, da ich gleichzeitig auch stolz auf meine neue Aufgabe bin:
Ich bin seit diesem Jahr Berater und Autor für digitalen Content in Form von Videos bei einem großen Schulbuchverlag.
Jahrelang habe ich zahlreiche Videos für meinen Unterricht erstellt, für fast jedes Thema der Realschule Unterrichtsmaterialien veröffentlicht und
frei zugänglich gemacht. Als dann die Anfrage kam, für ein Honorar zu arbeiten habe ich gezögert. Es widerspricht eigentlich meiner Einstellung seit fünf Jahren, all mein Unterrichtsmaterial frei
zugänglich zu machen. Trotzdem habe ich den Vertrag unterschrieben. Ich bin stolz darauf, freue mich auf die neue Aufgabe und habe trotzdem ein leicht flaues Gefühl im Magen. OER und Geld
verdienen, geht das zusammen? Ich glaube es geht...
Letzte Woche habe ich mit diesem Blogpost versucht, meine Gedanken zum Flipped Classroom nach fünf Jahren zu bündeln.
Dies hatte ich auch als eine Art Antwort auf einen (eher kritisch) reflektierten Blogpost von Dejan Mihajlovic verstanden. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Dejan bedanken, dass dieser meist sehr konstruktiv gelungen ist.
Im Folgenden möchte ich auf ein paar weitere Thesen, Vermutungen oder auch Ideen Dejans eingehen.
Ich gehe dabei von meinen Interpretationen des Flipped Classrooms aus, ich kann nur in bedingtem Maße für die Konzepte meiner Kolleginnen sprechen, das steht mir auch nicht zu. Öffentliche Beschreibungen von Unterricht werden immer von subjektivem Empfinden (der Betrachter) geleitet sein. Man kann Unterricht öffentlich wirksam positiv darstellen, auch wenn die Realität eine ganz andere ist. Im Umkehrschluss ist es viel fataler: wenn gute LehrerInnen Ihren guten Unterricht darstellen wollen, schaffen sie es selten, allen Facetten des Lernens gerecht zu werden. Je nach Expertentum, Fakultät und Sichtweise über Bildung fehlt etwas oder hat sogar gravierende Mängel. Daher gehe ich auf die Kritik mit den Argumenten ein, die zu meinem Unterricht und zu den Inhalten meiner Workshops/Vorträgen passen.
Über vier Jahre ist es nun schon her, dass ich begann Erklärvideos in meinem Unterricht einzusetzen. Anfang 2013 fand ich auf YouTube noch sehr wenige gute Videos
(Daniel Jung war schon dabei), so dass für mich schnell fest stand:
ich möchte selbst Videos erstellen. Knapp 500 Videos und zahlreichen Workshops und
Fortbildungen später möchte ich heute ein kleines Fazit ziehen und mein Projekt beenden. In acht verschiedenen Klassen habe ich meinen Unterricht umgedreht und komme so auf insgesamt 15
Flip-Jahre in fünf verschiedenen Jahrgangsstufen. Letztes Jahr habe ich dabei vier Klassen "umgedreht".
Freilich hatte ich nicht in jeder Klasse die Erfolge wie in meiner Projektklasse, aber bisher waren die
Ergebnisse am Ende des Schuljahres nie schlechter als zu Beginn. Das motiviert mich derart, dass ich für mich und meinen Flipped Classroom jetzt das Projekt-Siegel ablege und zu meinem
Standardunterricht erkläre.
Ein Fazit gleich vorne weg: Es waren nicht die Videos die meinen Unterricht besser gemacht haben und manchmal verzichte ich heute sogar darauf, obwohl ich bereits
ein fertiges hätte. Aber es waren die Videos, die mir (geschickt eingesetzt) Freiraum verschafft haben für zahlreiche wertvolle Methoden, für (echte) Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der
SchülerInnen und vor allem dafür, mehr Coach und Motivator zu sein als zuvor. Letztendlich habe ich durch die Videos und die offenen Lernformen eine Unterrichtsentwicklung vollzogen, die ich nach
meinem Referendariat nicht für möglich gehalten hätte.
Screencastsoftware (also Programme, die den Bildschirm und alles was darauf passiert abfilmen) gibt es wie Sand am mehr. Man kann damit Videos für den Unterricht selbst erstellen (hier habe ich beschrieben, wie ich es mittlerweile mache) oder auch von den Schülerinnen und Schülern erstellen lassen (hier meine Erfahrungen dazu).
Vier Jahre Flipped Classroom heißt natürlich auch vier Jahre Videos erstellen. Au Mann, was waren das für Stümperwerke, die ich noch zu Beginn erstellt habe. Im Internet habe ich noch kaum etwas von Screencasts finden können, außer zusammen gestückelt in ein paar Foren. Ich begann also mit Camstudio, einer Uralt-Software, die gar nicht mehr weiter entwickelt wurde und einen Trojaner beim Download bereit hielt. Seitdem hat sich aber Einiges getan. Immer wieder habe ich Neues ausprobiert und auch nicht davor zurück geschreckt, schlechte Videos einfach schlecht zu lassen. Denn das Wichtigste am Flipped Classroom sind sie nicht. "Do you need it perfect or by Thusday?" Nach dieser Prämisse brauchte ich sie immer dienstags.
Vielleicht sagen Sie jetzt, Oh mein Gott, davon lasse ich lieber die Finger... Keine Sorge, ich habe alle meine Fehler aufgeschrieben, damit Ihr sie nicht mehr machen müsst. Erklärvideos zum
Erstellen eines Erklärvideos. Es geht total einfach und easy, bei mir zu Beginn nicht. Wer meine Erfahrungen nicht lesen will, ganz unten beschreibe ich, wie ich es heute mache, Abkürzen
erlaubt.
"Getroffen" habe ich Lernen durch Lehren ja schon häufiger, zumindest virtuell. Aber weniger das Konzept, als vielmehr beeindruckende Persönlichkeiten, die überzeugend davon schwärmten: u.a. Jean-Pol Martin, wahrscheinlich der Vater des Konzepts, Peter Ringeisen, er hat einen Mooc zu dem Thema geleitet und natürlich Daniel Bernsen, der über den Flipped Classroom zum Lernen durch Lehren kam. Spätestens nach dem Vortrag von Simone Dinse de Salas bei der Fortbildung in Dillingen zu eben der hier genannten Kombination war für mich klar: das will ich auch ausprobieren.
Seit 2008 bin ich nun auf der Suche nach DER Methode, nach DEM Konzept, das meine SchülerInnen begeistert, das die Lernergebnisse verbessert, das soziale Kompetenzen fördert, das SchülerInnen möglichst selbstständig arbeiten lässt… 2013 bin ich dann auf die Idee gekommen, Erklärvideos in meinem Mathematikunterricht einzusetzen. Ich war es leid, immer wieder das Gleiche zu erklären (ich hatte einige frontale Phasen), obwohl ich in einer Klasse schon mehrfach eben genau das getan habe. Es stellte sich aber heraus, dass der Einsatz von Videos allein keinen Einfluss auf den Unterricht hatte, wohl aber die dadurch gewonnene Zeit für selbstständiges Üben. Ich habe nach und nach meinen Flipped Classroom (so heißt das Konzept dahinter) so entworfen, dass die Videos nicht im Zentrum stehen sondern lediglich Hilfen sind, um den Unterricht effizienter zu gestalten. Die Ergebnisse geben mir denke ich Recht: die SchülerInnen arbeiten selbstständiger, eifriger, motivierter und erzielen dadurch bessere Noten. Sie erhalten – quasi nebenbei - Medienkompetenz, der Lehrplan wird erfüllt und zahlreiche zusätzlich soziale Kompetenzen werden automatisch gewonnen. Wer mehr über meine Herangehensweise wissen möchte, kann sich gerne auch diesen Vortrag im Netz anschauen oder sich bei meinen Blogartikeln austoben.
Allerdings bekomme ich immer wieder die gleiche Kritik zu hören: „Dem Flipped Classroom fehlt das Entdeckende Lernen, Videos sind linear, nicht konstruktivistisch und damit höchstens eine Algorithmusschulung.“
Wahrscheinlich gilt das für die ersten Versuche, Erklärvideos mehr oder weniger unreflektiert in den Unterricht zu integrieren. Flipped Classroom hat sich aber weiterentwickelt, Entdeckendes Lernen ist damit nicht ausgeschlossen.
In diesem Jahr hat sich Einiges geändert. Nach meiner 2,5 jährigen Erfahrung mit Flipped Classroom in meiner Projektklasse hatte ich dieses Schuljahr wieder drei Matheklassen in meinem Stundenplan. Motiviert von den Erfolgen wollte ich alle drei Klassen flippen. Gleichzeitig bekam ich immer mehr Anfragen zu Vorträgen und war dadurch viel in Deutschland unterwegs. Darüber hinaus wurde der Flipped Classroom auch immer bekannter, nicht zuletzt durch unseren gewonnen Preis, Radiobeiträgen und Zeitungsartikeln. Dadurch mehrten sich aber auch die Kritiker und zweifelnden Stimmen. Es ging nicht mehr nur darum, selbst mit meinem Unterricht zufrieden zu sein, ich musste mich auch fragen, ob das Konzept übertragbar ist und ob die kritischen Stimmen nicht auch zu recht an diesem Unterricht zweifeln.
Sehr oft höre ich in letzter Zeit von Lehrern, die mit den Begriffen "Flipped Classroom" und "Flipped Learning" so umgehen, als wäre es ein und dasselbe. Aber weit gefehlt. Flipped Learning ist eine Weiterführung des Flipped Classroom. Mit FC ist mehr oder weniger nur der Austausch von Unterrichtsinhalten mit den Hausaufgaben gemeint. Das haben wahrscheinlich schon mehrere Lehrer gemacht, ohne dass sie es wussten. Ich erinnere mich noch an meinen Deutschlehrer, der uns seitenweise Instruktionen zum Durchlesen als Hausaufgabe aufgegeben hatte, um dann im Unterricht darüber zu diskutieren. Dies war sicherlich kein bewusstes Unterrichten nach dem Flipped Classroom Prinzip. Genauso haben vielleicht schon mehrere Kollegen im Unterricht Videos eingesetzt.
Nicht, dass ich so arrogant bin zu wissen, welche Fehler Andere beim Erstellen eines Erklärvideos machen. Aber ich habe selbst in den letzten drei Jahren Dinge falsch gemacht, die ich mit diesem Blogartikel an Kollegen weitergeben möchte. Von wegen man kann seine Videos in ein paar Jahren wieder verwenden. Ich mache manche jetzt einfach zum zweiten Mal. Damit Sie zumindest meine Fehler nicht auch machen, will ich Sie im Folgenden auflisten. Aber ob es alle sind? Wer weiß, vielleicht ergänze ich im nächsten Jahr auf sieben Fehler :-)
Was waren das für Höhen und Tiefen in den letzten 2,5 Jahren. Von einer Idee und Überzeugung getrieben, wollte ich unbedingt meinen Unterricht mit Erklärvideos aufwerten. Doch das hört sich leichter an als gedacht. Ich musste schnell feststellen, dass man mit Videos bei YouTube noch keinen Schüler besser macht. Sie verstehen vielleicht die Herleitung, Beweis,… besser, aber selbst geübt und kapiert haben sie es dadurch noch nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass eine derartige Innovation auch bei den Schülern manchmal für schwache Nerven sorgt.
Eine Unterrichtsmethode mit unglaublichem Potential. Die Schüler bereiten sich (z.B.) mit einem Lernvideo auf den Unterricht vor und haben dann im Unterricht Raum und Zeit, sich intensiv in verschiedenen Lernarrangements mit dem Thema auseinanderzusetzen und 45 Minuten lang durch eine Lehrkraft begleitet zu üben. Der herkömmliche Unterricht findet mit Video also nachmittags statt, die bisherigen Hausaufgaben werden auf den Vormittag verlegt. Soweit die allgemein vorherrschende Definition.
Auf dem Weg zum Flipper: Meine To-Do-Liste für Flipped Classroom
Folgende Schritte sind sehr techniklastig, obwohl der Flipped Classroom zum größten Teil auf analogen Unterricht baut. Ich gehe nur davon aus,
dass jeder Lehrer weiß, eine Präsenzphase schülerzentriert zu gestalten Ein Video bzw. lernplattform ist dagegen neu.
1. Software/Hardware wählen
Wie möchte ich meinen Unterricht auslagern? Screencastsoftware gibt es zahlreich: camtasia, camstudio, screencast-o-matic,… Doch Vorsicht: Mehr Möglichkeiten bei der Bearbeitung heißt auch, mehr Zeit bei der Produktion. Für die Aufnahme selbst reicht ein Headset, will man sich selbst zeigen noch eine Kamera. Wenn man vor hat viele Videos zu drehen, sollte man sich ein USB-Mikrofon zu legen. Wo speichere ich die Datenflut? Externe Festplatte, Cloud? NAS? USB-Stick? Wo sichere ich? Freefilesync? Oder so