#wowdw: Wie kleine Erfolge das große Bild der Schule verändern könnten

 "Wir leben in einem Land, das viel zu viel in Tristesse verfällt, stetig und ständig." In seiner bemerkenswerten Rede nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft im Viertelfinale sprach mir Julian Nagelsmann aus der Seele. Wissen wir eigentlich, wie gut wir es in Deutschland haben? Ich habe es geliebt, diese Stimmung im Land während der EM zu verfolgen: so viel Fröhlichkeit, gemeinsames Feiern aller Nationen und auch gemeinsames Trauern nach Niederlagen. Das war schön oder wie Julian Nagelsmann sagte: "Ich glaube, wir haben es geschafft, dieses Land ein wenig aufzuwecken und schöne Momente zu bescheren."

Jetzt habe ich nur entfernt etwas mit Fußball zu tun, meine Leidenschaft ist das Lernen und das Arbeiten in der Schule. Aber hier sehe ich eigentlich genau das Gleiche: Tristesse, wenn man den vielen Nachrichten über das System Schule liest. Dabei bin ich selbst eigentlich echt glücklich mit meinem Job als Lehrer und freue mich jeden Tag, etwas bewegen zu können. Vor circa zwei Jahren hatten ein paar Wenige den Hashtag #wowdw ins Leben gerufen. Was es damit auf sich hat und warum die Öffentlichkeit mehr positive Berichterstattung aus den Klassenzimmern braucht, möchte ich hier beschreiben.

#wowdw: eine Initiative für mehr Positivität

Mit zwei weiteren Kollegen (Tobi Raue und Verena Knoblauch) hatten wir die Idee, jeden Freitag von einem positiven Erlebnis aus dem Unterrichts- oder Schulalltag zu berichten. Ich war so frustriert von dem allgemeinen Genörgle über das System Schule. Angefangen auf Twitter, wurde es auf Bluesky ausgeweitet. Heute findet man auch auf Instagram, Threads und LinkedIn vereinzelt Beiträge – wenn ich ehrlich bin, aber hauptsächlich von mir. Irgendwie habe ich damit nicht so viele anstecken können. Auch deshalb schreibe ich diesen Blogartikel: dass es am Freitag wieder mehr #wowdw in den Timelines gibt. Warum unser System Schule dadurch besser werden kann, dazu am Ende meine 2 Cents.

Kritik und Herausforderungen im Schulalltag

Als ich das letzte Mal ein Loblied auf die Schule angestimmt hatte, gab es auch sehr viele negative Kommentare zu diesem Artikel. Ob ich überhaupt eine Ahnung hätte und wie man so undifferenziert positiv über Schule reden kann. Daher ist es mir wichtig, hier auch zu erwähnen, dass ich trotz der vielen Wows auch sehr viele Mau-der-Woche oder Mau-der-Jahrzehnte habe und beobachte: die Schulgebäude sind oft in einem desolaten Zustand, die Kommunikation mit Eltern und Schülern wird zu einem echten Zeitfresser, die vielen Absenzen führen zu mehr Arbeitszeit, der Ruf der Lehrkräfte in der Gesellschaft leidet, während viele Lehrkräfte am Rande ihrer Kräfte arbeiten. Die individuelle Betreuung in den Klassenzimmern wird immer wichtiger, ohne dass wir dafür Kapazitäten haben. Einzelne Eltern und Schüler brauchen unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit und Zeit ohne gleichzeitige Entlastung, stark unterschiedliche Erziehungsstile erschweren die Zusammenarbeit und vor allem ist die Erwartungshaltung an Schule schier erdrückend: alles, was in Deutschland nicht läuft, muss durch bessere Bildung ausgeglichen werden – am besten mit 12 neuen Fächern, der Streichung des Lehrplans und bitte jedem persönlich angepasst die größtmögliche Freiheit, sich möglichst wenig anstrengen zu müssen. Ja, ich bin gestresst vom System Schule, gehe aber jeden Tag gerne dorthin. Wir sind das System und wenn nicht wir, wer dann kann es besser machen?

Fokus auf das Positive

Deshalb fokussiere ich mich darauf, vom Gelingen zu erzählen. Ich stelle mir vor, jemand möchte Lehrkraft werden oder sich erkundigen, wie Lernen funktioniert. Den möchte ich doch nicht verschrecken, sondern mit meiner eigenen positiven Einstellung zum Unterrichten anstecken. Denn sind wir doch mal ehrlich: es gibt nichts Schöneres, als wenn in einem Klassenzimmer Lernen funktioniert, eine neue Methode im dritten Anlauf einen tollen Effekt hat, Schüler dich anstrahlen, weil sie etwas verstanden haben, eine am Ende sagt, dass sie gerne in deinen Unterricht geht oder Jahre danach noch viele Schüler einen besuchen kommen, weil es doch eigentlich ganz schön war, auch wenn man sich immer wieder auch gefetzt hatte. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist so oft positiv, wenn man die wenigen negativen Einflüsse mal ehrlich ausklammert. Gleichzeitig haben wir das Privileg, in Deutschland zu leben und zu unterrichten. Klar liegen wir bei vielen Entwicklungen hinten dran, aber wir hätten wenigstens das Potential, alles zum Positiven zu bewegen. Nachdem ich nun seit über zwei Jahren jeden Freitag ein #wowdw poste, hatte ich zwischendurch Schiss, mir gehen die Ideen aus. Aber bisher läufts noch rund, man muss nur oft genug scheitern und reflektieren, dann klappt immer häufiger mehr.

Die Kraft der kollektiven Wirksamkeit

Bei John Hattie hatte ich natürlich kein #wowdw gefunden, dennoch aber etwas Passendes: Er beschreibt die kollektive Wirksamkeitserwartung als den gemeinsamen Glauben einer Gruppe an ihre Fähigkeit, positiv auf das Lernen der Schüler einzuwirken. Diese Überzeugung hat laut Hattie einen der stärksten Einflüsse auf den Lernerfolg der Schüler, mit einer Effektstärke von d=1.34. Diese kollektive Überzeugung fördert eine positive Lernumgebung und verstärkt die Bemühungen der Lehrer, gemeinsam bessere Lernergebnisse zu erzielen. Wie toll wäre es, wenn alle in Deutschland daran glauben, dass man im System Schule viel bewegen kann? Dann würde man wahrscheinlich auch viel bewegen. Wie schlimm wäre es, wenn alle denken, sich in einem kaputten System zu befinden, in dem Lernen nicht mehr möglich ist?

Ein Aufruf zum #wowdw

Ich freue mich, dass du bis hierhin mitgelesen hast. Vielleicht hast du jetzt ja auch Lust, von deinen positiven Erfahrungen und Situationen aus deinem Job rund um das Thema Schule zu berichten? Ich würde mich sehr darüber freuen. Aber nicht nur aus persönlichem Antrieb, sondern weil ich daran glaube, dass durch ein Mehr an #wowdw die #maudw übertrumpft werden können. Solange versuche ich weiter, jeden Freitag von etwas Positivem aus meinem Schulalltag zu berichten - auch in Wochen, in denen ich gestresst und manchmal auch frustriert bin. Frei nach dem Motto: "Was kann ich für das System tun" statt "Was kann das System für mich tun". Mein Wow der Woche #wowdw.