"Schulen kehren zurück zu Heft und Buch"
so ähnlich lauten in den letzten Wochen einige Schlagzeilen. Dänemark, Großbritannien, Niederlande, Schweden, ... sie alle scheinen der Digitalität den Rücken zuzukehren.
ICH KANN ES NICHT MEHR HÖREN!
Die Überschriften suggerieren: Die Schulen gehen zurück ins analoge Zeitalter. Damit werde ich dann u.a. in Fortbildungen konfrontiert. "Herr Schmidt - warum halten Sie denn an der Digitalisierung fest, wenn doch unsere Vorreiternachbarländer alle zurückrudern." Zunächst war ich etwas überrascht, gelten doch genannte Länder als Vorzeigeländer. Die haben wohl jetzt auch einen PISA-Schock erlitten, aber nehmen die jetzt Ihr Digitalisierungkonzept zurück? Nein, dazu weiter unten mehr.
Estland wird hier nicht genannt, immerhin Spitzenreiter bei PISA. Dabei ist deren Schule sehr digital unterwegs. Es lohnt also ein zweiter Blick in diese Berichterstattung.
Die digitale Balance finden
In diesen Ländern wurde einfach zu viel gemacht: digitales Heft/Schulbücher, Smartphone immer zur Verfügung, ...
Was hier passiert ist eine gesunde Reflexion und Gegenbewegung: nur digitaler Unterricht kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Hört man Experten in D zu "digitalem Unterricht" (darf es so heißen?) zu, dann befürwortet kaum einer die vollständige Digitalisierung (geht das überhaupt?).
Im Gegenteil, da wo es Sinn macht, versuchen wir mündige Kids auf die Welt von morgen vorzubereiten: analog und digital.
Aber was wird jetzt konkret geändert?
Aus Dänemark schwappt dieser Beitrag über "ZDF heute" zu uns nach Deutschland: "Schule hat es mit Digitalisierung übertrieben." Dieser erzählt von einer Schule, welche die Smartphones scheinbar verbietet. Wenn man bis zum Ende liest, ist das mitnichten der Fall: "Digitalisierung ist wichtig. [...] dort wo es Sinn macht." Aus England ist zu hören, dass private Geräte oder Social Media Apps verboten werden sollen. Dem ist ja gar nichts entgegenzusetzen, aber daraus ein Verbot für die sinnvolle Nutzung abzuleiten ist hanebüchen und auch nicht beabsichtigt. Eventuell braucht es eine bessere Nutzungsordnung - viele Schulen schränken bereits sinnvoll ein, technisch wie pädagogisch.
Auch in anderen Artikeln kann man schnell erkennen, dass eine gänzliche Umkehr nicht gemeint ist. In Dänemark werden jetzt in der Grundschule wieder echte Bücher ausgeteilt, als alles nur auf einem Tablet zu transportieren. Schade, dass die Überschriften einen anderen Weg einschlagen und dann anscheinend oft nicht weitergelesen wird. Gehe ich in die Kommentarspalten dieses Videos, sehe ich ein echtes Problem im Verständnis um die Digitale Transformation:
Digitale Transformation wird nicht verstanden?
Ich habe das Gefühl, dass unter der Digitalisierung an Schulen in Deutschland häufig eines verstanden wird: Digitales Heft und Digitales Schulbuch (nur Kopie, keine Ergänzung). Das mag beim richtigen Einsatz seine Vorteile beim Lernen mit sich bringen, aber das (Digitale) Lernen der Kids wird damit weniger angebahnt. Auf die Aufgaben und Inhalte kommt es an. Dabei hatte man sich schon früh auf Kompetenzen festgelegt, wie "Bildung in einer digitalisierten Welt" ausschauen soll. Es geht nicht allein darum, dass die Lehrkraft das Unterrichtsmaterial digital macht, sondern dass mit guten digitalen Lernaufgaben der Kompetenzerwerb bei den Schüler:innen angebahnt wird: Suchen, verarbeiten, Kommunizieren, Kooperieren, Produzieren, Präsentieren, Analysieren und Reflektieren. Das und noch viel mehr (z.B. Medienbildung oder Medienerziehung) versteht man unter Digitaler Transformation. Schaut man in den Unterricht von Vorreiterlehrkräften, dann steht das Lernen und der Schüler im Mittelpunkt, das mobile Gerät ist dabei ein weiteres Medium, das nicht ausschließlich zum Einsatz kommt: ein Lernen mit/über und trotz Tablets. Kein Unterricht fördert ausschließlich digitale Kompetenzen, das wäre ja Quatsch.
Was allerdings stimmt: die Kids verbirngen viel zu viel Zeit hinter dem Bildschirm. Das ist auch eine Frage der Erziehung. Aber wo sollen Sie eine gesunde und sinnvolle Bildschirmzeit erlernen? Das geht nicht, wenn wir die Geräte in der Schule ausschließen und das geht auch nicht, wenn sie dauerhaft in der Schule zur Verfügung stehen. Das Bewusstsein für sinnvolle und vernünftige Bildschirmzeit muss auf die Agenda unserer Gesellschaft, die meisten Eltern scheinen damit zu Hause überfordert zu sein. Deshalb erlaubt man Tablets in Dänemark jetzt nur dann, wenn man diese sinnvoll einsetzen kann: davon sollten wir in Deutschland lernen.
Mal angenommen: zurück in die Kreidezeit...
Wer zeigt den Kids dann
- den Umgang mit Phänomenen im Netz
- Recherche-Kompetenzen
- wie man Videos/Podcasts/ebooks/Flyer/... selbst erstellt, statt nur online konsumiert
- wie man sich im Netz verhält, miteinander umgeht und sich schützt
- was KI mit uns und der Gesellschaft macht
- wie man ganzheitlich lernen kann
... und so vieles mehr?
Ein Aufruf zum Handeln
Während andere Länder die Digitalisierung an Schulen evtl. übertreiben, warten wir erst noch ein wenig ab und stürzen uns auf solche Überschriften.
Wir sollten die Geräte erst einmal sinnvoll einsetzen, wo es pädagogisch und didaktisch sinnvoll ist. https://www.swr.de/wissen/kommentar-digitalisierung-an-schulen-102.html
Kinder verdienen schon heute eine Zukunftsvorbereitung. Wir sollten von den Nachbarländern lernen und Unterricht zukunftsfähig machen: reflektiert, nachhaltig und schülerzentriert im analogen und digitalen Yin und Yang.
Selbstreflexion: Berichte über die digitale Transformation suggerierten oft, Digitalisierung sei die Lösung für alles. Das stimmt nicht. Doch, reflektiert eingesetzt, bereichert sie die Methodenvielfalt von Lehrkräften und das Lernen. Auch meine Darstellung greift zu kurz. Unterm Strich ist es nicht einfach, das richtige Maß der Digitalen Transformation zu finden. Wichtig wäre mir, dass man sich über die Überschrift hinaus mit dem Thema befasst. Weiterlesen, sich aufklären lassen, besser machen, MACHEN!
Ein Fun Fact zum Schluss. Aus Dänemark kommt dann auch von Seiten der Agentur für Bildung und Qualität (auf Ersuchen des Ministers für Kinder und Bildung) eine Empfehlung für die Verwendung von Bildschirmen an Grundschulen, weiterführenden Schulen und Horten zu uns. Im Original hier und in der Übersetzung hier (danke Marc Albrecht Hermanns) zu finden. Das wiederum liest sich wie eine gesunde Mischung und wie eine Vorlage für eine vernünftige Nutzungsordnung - auch wenn mir hier der positive Aspekt der Nutzung zu kurz kommt. Diese Empfehlung wäre für England und natürlich auch fütr Deutschland passend: private Nutzung in der Schule nicht erlaubt, pädagogische oder technische Einschränkungen und eine klare Linie, wie man die Geräte sinnvoll einsetzt. Anschließend müssten das die Eltern privat auch so machen - da sehe ich flächendeckend allerdings schwarz. Daher sollte in meinen Augen die Schule hier als Vorbild für eine sinnvolle Nutzung voran gehen, die Eltern lassen zu oft einfach alles zu.
Danke an Julelernt_lehrt , michaeleglmeier und Marc Albrecht Hermanns fürs gemeinsame Reflektieren :-)