In der ergänzenden Empfehlung der Kultusministerkonferenz von 2021 wird der schulinternen Fortbildung ein besonderes Potential attestiert, nachhaltig zu wirken, wenn längerfristig und kooperativ mit der Wissenschaft angelegt (S. 28/29).
Das trifft sich ja, dass wir seit 2018 mit diesem Format experimentieren. Daher wollten wir unsere Erfahrungen damit hier anderen zugänglich machen, um es zu reflektieren und eventuell dadurch oder durch Kritik/Anregungen daran weiter zu lernen. Den ersten Mikro-Schilf-Plan hatten wir 2018 aufgestellt, weil ein pädagogischer Tag mit kleinen Workshops von Lehrern für Lehrer sehr gut ankam: 9 digitale Tools von 6 Lehrern vorgestellt. Heute sind es 22 Angebote von 20 verschiedenen Lehrkräften. Aber das ist alles gewachsen und 2018 wussten wir nicht, wo es hinführt. Aber wir haben losgelegt - anfangs etwas stümperhaft. Daher zunächst unsere learnings aus unseren Fehlern und erst danach Aufbau, Planung, Verbindlichkeit, Inhalte und Auswirkungen. Hier gibt es auch einen kostenlosen Selbstlernkurs zum Thema.
Aus Fehlern lernen...
Hier gleich einmal ein paar Aufzählungen, was bei uns nicht funktioniert hatte (Gründe nenne ich nicht, die könnten einer falschen Wahrnehmung entspringen):
- Titel mit hippen Wörtern/Tools: das schockte die Kolleg:innen, etwas nicht zu kennen. Da half dann auch die Beschreibung nichts. Jetzt soll der Titel möglichst ohne Anglizismen beschreiben.
- lange Formate: Zeit hat keiner und gerade das knackige Format motiviert Kolleg:innen zum Impuls einholen, open end ist ja dennoch möglich. Vertiefung erfolgt meist daheim oder erneut mit Kolleg:innen.
- Freiwilligkeit: nach einem erfolgreichen ersten Jahr kamen im zweiten nur noch wenige. Einige Kolleg:innen hatten umsonst etwas vorbereitet.
- Bedarfe abfragen: fast gar nichts wurde hier genannt, das wenige ist meistens schon mehrfach geschult worden und war nicht Konsens an Bedarf im Kollegium. Bedarf ergab sich erst nach tollen Angeboten.
- Ab April nimmt die Bereitschaft (und die zeitliche Verfügbarkeit) zur Teilnahme rapide ab.
- technische Ausrichtung bei Schilfs: oft waren die Experten bereits zu weit weg vom Rest oder hatten einen rein technischen Zugang gewählt.
- Überhang an "digitalen Angeboten". Klar kannst Du heute Pädagogik und Didaktik nicht mehr ohne Digitalisierung denken. Aber durch die vielen "digitalen Themen" wurde der Eindruck vermittelt, alles digital machen zu müssen (in den Schilfs selbst war das nie der Fall, aber durch die Auflistung kam dieser Eindruck zu Stande).
Aus all diesen Problemen haben wir über die Jahre versucht ein Angebot aufzustellen, das Teilnehmer, Referenten, Schulleitung und auch die Ressourcen zufrieden stellt. In meinen Augen ist es notwendig, bei Neuerungen Verständnis und Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse der an Schulen Beteiligten zu haben. Auch um so einen Anreiz zum Machen (Teilnahme, Anbieten, Umsetzung) zu schaffen.
(empfohlener) Ablauf bei uns
Grundsätzlich ist jeder Referent frei bei der Gestaltung seiner kleinen Fortbildung. Als Anregung geben wir mit auf den Weg: höchstens 1/3 Vormachen (Lehrerperspektive), mindestens 1/3 selbst Ausprobieren (Schülerperspektive) und dann noch 1/3 Austausch/Feedback und Möglichkeiten für die Umsetzung in der Unterrichtspraxis. Wie beim Unterricht auch, soll der Fokus auf dem Lernenden liegen, nicht auf dem Referenten. Dafür vorgesehen sind 30 Minuten. Inhaltlich geht das in der kurzen Zeit meist nicht zusammen. Daher sind die Referent:innen angehalten, das Wichtigste in die ersten 30 Minuten zu packen. Dann können die mit Betreuungsproblemen oder Nachmittagsunterricht gehen und andere länger bleiben, denen das zu knapp war. Das funktioniert nicht so gut, wenn externe Referent:innen da sind. Manche besuchen dieselbe Fortbildung dann auch mehrfach, jeder Entwicklungsschritt braucht dann auch wieder eine neue Auffrischung.
Terminlich setze ich (Schilf-Koordinator mit freiwilligem Auftrag) entsprechend der Verfügbarkeit der Referent:innen ein Datum an und verteile alle Angebote im Zeitraum von Oktober bis März. Beginn ist immer um 13:00 Uhr, 10 Minuten nach Unterrichtsschluss. Die Umsetzung im Unterricht soll dann bestmöglich in den Fachschaften diskutiert/reflektiert werden - tatsächlich geschehen die aber mittlerweile auch unangeleitet.
Planung und Themenfindung
Jahrelang habe ich das allein gemacht, heute setze ich mich mit Sandra (zweite Konrektorin und Schulpsychologin) zusammen und wir überlegen uns, was wir erneut und neu anbieten wollen. Dabei fragen wir vorher auch die Schulentwickler, das Medienkonzeptteam, den Rest der Schulleitung, Systembetreuer, Schulberatung, Schulsozialarbeiter, Fachschaftsleiter, ... welche Themen im nächsten Schuljahr hinsichtlich einer gemeinsamen Unterrichts- und Schulentwicklung nötig sein bzw. multipliziert werden könnten. Themen wie Defibrillator oder Einführung Klassenrat in der 5. Klasse gehören immer dazu. Darüber hinaus schauen wir, welche Lehrkräfte bei regionalen Lehrerfortbildungen multiplizierbares Wissen weitergeben könnten.
Bei den meisten Schilfs orientieren wir uns allerdings nicht an Themen, sondern an Personen. Wir wollen Expertise entdecken und machen so das Angebot attraktiv - mit einer pauschalen Abfrage der
Bedarfe hatten wir das nicht hinbekommen. So gehen wir auf Einzelne zu und fragen einfach, ob Sie etwas anbieten wollen. Fun fact: fast keiner unserer Experten hat ein Vertrauen in seine
Expertise "eigentlich mach ich das gar nicht so gut" - und es ist fast immer klasse.
Manche Kolleg:innen kommen von selbst und schlagen ein Thema vor, das sie zeigen oder in das sie sich einarbeiten wollen. Sandra und ich sammeln die Angebote und versuchen das mit unseren
Entwicklungsplänen zusammen zu bringen. Das ist ein sehr langer Prozess, bis wir dann alle Themen und Lehrkräfte in einer Liste haben. Wir beginnen mit den Planungen meist schon im März und haben
dann eine fertige Liste gegen Ende des Schuljahres. Je nach Stundenplan werden zu Beginn des Schuljahres noch kleine Änderungen vorgenommen, aber bei der Lehrerkonferenz hängt dann der Plan aus,
so dass man gleich zu Beginn seine drei Termine fix machen kann.
Verbindlichkeit und Anreiz
Nachdem nun beinahe die Hälfte aller Kolleg:innen Mikro-Schilfs anbietet, soll diese Arbeit auch mit Teilnahme honoriert werden. Gleichzeitig hat jeder Lehrer eine Fortbildungspflicht, die so abgedeckt werden kann. So muss jeder Lehrer an unserer Schule 3 dieser Mikro-Schilfs besuchen. Alternativ können auch andere Fortbildungen (z.B. eSessions an der Stabsstelle, elearning-Kurse, RLFB, ...) besucht werden. Durch die Einhaltung des Schilf-Besuchs haben wir auch schon auf einen pädagogischen Halbtag verzichtet, der ja oft auch nur durch ein Workshop-Angebot von Lehrern für Lehrer organisiert wäre.
Neben der Pflicht ist aber das facettenreiche Angebot zum Anreiz geworden. Auch die Tatsache, dass die bekannten Kolleg:innen etwas erzählen, reißt gleich von Beginn an Mauern ein. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, dass es auch attraktiv geworden ist, eine solche Schilf zu halten.
Dennoch gibt es auch Stimmen, die diese Pflicht als übertrieben ansehen und denen die Verortung der Schilf direkt nach Unterrichtsschluss ein Dorn im Auge ist. Hierzu finden wir aber keine Lösung, weil die Mehrheit zu einem späteren Zeitpunkt nicht anwesend sein könnte.
Auswirkungen und Konsequenz
Ich will hier noch nicht behaupten, dass wir "new work"-Strukturen geschaffen hätten. Dazu fehlt an Schulen noch sehr viel. Allerdings ist es ein weiterer Schritt zur gemeinsamen Vernetzung und zur kooperativen Schule. Es findet hier Austausch über Unterrichtspraxis statt, Neuerungen werden kritisch reflektiert und dennoch erprobt. Es ist gar nicht immer nötig, dass sich eine ganze Schule im Gleichschritt weiterentwickelt. Manchmal reichen auch viele kleine Parzellen. Diese entstehen oft durch so kleine gemeinsame Nachmittagstermine. Nicht selten finden dann auch weitere Termine statt, die die Schulleitung nur am Rande mitkriegt. Mein Highlight: die Kolleg:innen, die sich nach einer Fortbildung noch einmal zu Kaffee und Kuchen trafen, um etwas zu vertiefen. Mittlerweile öffnen wir unsere Angebote auch für andere Schulen, selbst hybride Mikro-Schilfs haben wir schon stattfinden lassen. Manche Kolleg:innen lesen sich vorab in Publikationen ein oder recherchieren nach Erfahrungsberichten im Internet. Ein klein wenig entdecken wir auch den Forscher in uns.
Aber: es braucht jemanden, der den Hut aufhat und den roten Faden durch alle Abteilungen der Schulfamilie zieht. Daher muss man viel über die Schule wissen, einen Chef haben, der einen machen lässt und viele Gespräche führen, um zu wissen, wo es hinlaufen soll. Selbst unser Plan deckt z.B. noch wenig Elternarbeit oder soziale Phänomene ab. Bildung ist so facettenreich, dass man es leider nicht mal ansatzweise mit einem solchen Plan schulen könnte. Aber es ist ein Anfang, der den Unterricht weiterentwickeln und Themen der Schulentwicklung anbahnen kann. Langfristig braucht es da Kapazitäten vor Ort, einen didaktischen Leiter oder gleich einen Schilf-Koordinator. Außerdem sollte man immer erst nach Angeboten beim eigenen Schulamt suchen. Oftmals gibt es da bereits Referent:innen, die erste Themen an die Schule tragen können. Bei uns sind jetzt ein paar Referentinnen auch im Schulamt tätig, weil sie sich mit Ihren Mikro-Schilfs ausgezeichnet haben.