Wow. Was waren das für intensive Tage. Nichts ist mehr wie es war und die Welt verändert sich in Riesenschritten. Meine tägliche Ration Nachrichten lässt mich teilweise schockiert zurück. Ich hab selbst in der Familie Fälle aus der Risikogruppe 1, ich weiß gar nicht, was mir mehr weh tut: die Angst um liebe Menschen oder das viele Leid, das schon über die Menschen gekommen ist.
Da verkommt es beinahe zur Nebensache, dass sich Schule gerade versucht neu zu entdecken bzw. Unterricht auf den Kopf gestellt wird. Da das aber mein Beruf ist und ich gerne meine letzten Wochen auch reflektieren möchte, schreibe ich heute diesen Blogartikel. Vielleicht hilft er ja dem ein oder anderen in seiner Reflexion, auch wenn es tatsächlich gerade wichtigere Dinge gibt als die Schulentwicklung.
Mein Ablauf und Workflow
Ich gehe da stark mit Dominik Schöneberg aka Bildungslücken: ich kann gerade kein guter Lehrer sein, ich kann nur mein Bestes geben.
An unserer Schule haben wir das Glück, mit mebis eine funktionierende Lernplattform zu haben. (alternativ wurden an anderen Schulen auch andere Plattformen angelegt). Seit Jahren arbeiten da schon einige KollegInnen mit den SchülerInnen zusammen. So konnten wir noch vor der Schulschließung schnell alle restlichen S und K in spezial für das HomeOffice angelegte Kurse bringen. Ein Hoch, wenn man sich schon früh auf den Weg gemacht hat, die Plattform kennt und tolle KollegInnen hat, die schnell und kompetent anderen helfen können. Aber anders als beim herkömmlichen Unterricht ist so eine Plattform erst einmal OneWay: Lehrer stellen Material online und SchülerInnen sollen einfach machen. Das geht vielleicht in einem Setting, wo man sich im Klassenzimmer trifft und dann viel Zeit hat miteinander zu reden, Dinge auszuloten, gemeinsames Arbeiten und soziales Interagieren anleiten kann, aber jetzt nur digitaler Content zu Hause reicht nicht aus. Daher habe ich mit meinen SchülerInnen einen (einigermaßen datenschutzkonformen - es ist nicht WhatsApp!!!) Messenger installiert, um mit Ihnen direkt in Kontakt zu bleiben. Des Weiteren habe ich ein Videokonferenztool installieren lassen. Da ich seit Jahren digitale Medien im Unterricht einsetze, konnte ich auch auf andere Plattformen wie einer MatheAufgaben-Plattform, einem Tool zum geometrsichen Zeichnen, einer interkativen Seite zum Zusammenarbeiten ,... zurück greifen. Die SchülerInnen waren es gewohnt, sich derart zu bewegen. Soweit das Grundgerüst. Und dann funktioniert die Lernplattform nicht... Wir üben uns also zu aller erst in Geduld, machen 30 Minuten Pause, probieren es noch einmal und entwickeln innerhalb kürzester Zeit ein asynchrones Setting. Jeder macht seine Aufgaben wann er will, bis abends 18 Uhr. Was dazu führt, dass Feedbackschleifen und Interaktionen bei mir den ganzen Tag aufploppen. Also musste ich auch meine Arbeit verändern, denn den ganzen Tag im Chat hängen geht auch nicht. Gleichzeitig sind es aber diese Feedbackschleifen, diese Interaktionen untereinander auch von zu Hause genau das, was aus einem PDF, einem Video, einem Arbeitsauftrag,... ein Lernen machen kann. In meinem Flipped Classroom zu normalen zeiten habe ich digitalen Content, aber zusätzlich die Präsenzphase, um mit ganz viel 4K das meiste aus dem aktuellen System herauszuholen. Dies gilt es jetzt im HomeOffice auch zu berücksichtigen.
Das soziale WIR
Denn für die SchülerInnen ist die Schule nur bedingt der Ort, an dem man sich auf das Leben und die Berufswelt vorbereitet. Sie ist in erster Linie ein gemeinsamer Ort, an dem man Freunde trifft. Dies ist nun nicht mehr abbildbar, kann aber auch durch Arbeitsaufträge nachgebildet werden. "Macht die Impulsaufgabe und ruft dann Euren Banknachbarn an und besprecht die Aufgaben mit ihm." ö.ä. Gleichzeitig sah auch ich mich in der Verantwortung. Ich hab dann versucht, SchülerInnen einzeln anzurufen und zu fragen, wies es Ihnen geht, natürlich mit vorangehender Ankündigung. Ich hatte das Gefühl, dass die angerufenen SchülerInnen sich danach deutlich intensiver mit den Materialien auseinandergesetzt haben. Ein bisschen Normalität, den vertrauten Lehrer hören, in einer Videokonferenz ihn auch sehen und Fragen stellen können, oder am morgen ein persönliche Botschaft zu erhalten. Da sehe ich es wie Sebastian Stoll. Hat man einen Messenger ist die Voice-Nachricht einfach ein tolles Mittel in dieser Zeit geworden. So wurschteln wir uns durch und jeder freut sich, den anderen wieder zu sehen, aber so lange kann man auch anleiten, mit anderen Kontakt zu haben. Meine Deutsch-Kollegin und ich haben u.a. an einem Tag eine Netiqutte-Aufgabe gegeben. Schreibt was zu Mathe, zu Deutsch, was Nettes,... an mehrere Klassenkameraden. Achtet auf die Sprache und überlegt Euch Regeln für ein gelingendes Miteinander, auch wenn wir nur im Chat zusammen sind. Im Vergleich zum Beginn der Interaktionen ist mittlerweile ein tolles Schreiben möglich.
Command and Control?
SchülerInnen bekommen einen Arbeitsauftrag, dann arbeiten sie und ich kontrolliere und gebe bzw. lasse Feedback geben. Auch wenn im Twitterlehrerzimmer nicht gerne gesehen, brauche ich nach wie vor Kontrollinstanzen oder schöner gesagt Feedbackschleifen um sehen, ob auch gearbeitet wird. Viel Nachsteuern musste ich nicht, sind es doch meine SchülerInnen schon einigermaßen gewohnt, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. Und dennoch: bei Einigen musste ich nachfassen. Manche haben sich tagelang weggeduckt, haben auf meine Nachrichten nicht reagiert und auch angenehme Aufgaben wie eine Challenge ausprobieren oder einen Brief an Oma schreiben ignoriert. Da habe ich dann hinterher telefoniert und zum Mitmachen aufgefordert. Es geht mir nicht darum, dass ich Kontrollinstanz sein möchte, aber zum selbstständigen Arbeiten und kreativen Auseinandersetzen gehört halt auch Aktivität. Soziale Ungerechtigkeit entsteht auch, wenn man nur noch Unterricht mit denen macht, die keine Aufforderung brauchen. Ich kann niemanden zu seinem Glück zwingen, aber ich frage trotzdem höflich nach, wenn etwas fehlt oder ich nichts höre. So viel "Command and control" wie nötig, so wenig "Command and Control wie möglich.
Chance für Schulentwicklung
Ich weiß gar nicht, wieso soviel gerade auf Lehrer geschimpft wird. Was ich sehe, sind ganz viele tolle Projekte, problemorientierte Aufgaben, Aufgaben mit aktuellem Bezug,... Klar kann man auch die sehen, die gerade weniger tun und ein veraltetes System noch untermauern. Die sehe ich allerdings in der Minderheit. Mit meinen Deutsch-Kolleginnen tausche ich mich gerade aus, wir gestalten Unterricht fächerübergreifend. In vielen Kursen stehen tolle Aufgaben, die das Digitale kooperativ, kreativ, kritisch oder kommunikativ anwenden lassen. Ich hab eher das Gefühl und eine starke Hoffnung, dass meine Expertise zum sinnvollen Einsatz digitaler Elemente nach der Cornona-Krise obsolet sein wird. So viele KollegInnen machen mittlerweile so tolle Sachen, jetzt gilt es die Erfahrungen zu bündeln und zu überlegen, wie wir diese Form des Unterrichts mit der irgendwann wiedergewonnen gemeinsamen Präsenz verknüpfen können. Ich hab voll Bock, mir von den KollegInnen anzuhören, was sie alles Tolles gemacht haben. Ich glaube, dass Fortbildungen nach Corona weniger Tool-Schulungen sein werden, sondern dass man den Austausch unter den KollegInnen befeuern kann.
"Es geht nicht nur um Tools!" - jawoll, es geht um so viel mehr, wenn das Digitale Teil des Unterrichts wird. Das begreifen gerade so viele und dennoch brauchen manche auch Schritt für Schritt Schulungen, damit sie sicher ein Werkzeug für den Unterricht einsetzen können. Genauso die SchülerInnen. Es geht also doch ganz oft um Tools, aber für das was am Ende raus kommt, sollten eben auch andere Dinge wichtiger sein.
Datenschutz - dürfen wir alles, was wir können?
Die ersten beiden Tage lief mebis nicht rund. Da sind dann einige Schulen abgesprungen und haben alternative Plattformen genutzt: E-Mails, Microsoft Teams, google classroom, SchulCloud,... und wie sie alle heißen. Ich bin sehr froh, dass wir bei mebis geblieben sind, ist es doch eine Plattform des Ministeriums, wo die DSGVO von Vornherein mit berücksichtigt wurde.
Aktuell ist eine Notsituation. Dennoch finde ich, dass wir genau in dieser Zeit ganz besonders die Daten der SchülerInnen schützen müssen. Sehr reflektiert macht das z.B. Mike Graf an seiner Schule beim Einsatz einer Plattform mit amerikanischem Server. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch alle anderen Schulen so machen. Da gilt es sich zu informieren, die Gesichter der Kinder aus Plattformen außerhalb mebis rauszuhalten, Namen am besten auch. Viele Tools und Plattformen werben jetzt für den Einsatz und sind bestimmt auch toll dafür zu bedienen. Doch bitte: macht die Augen auf und schützt im besonderen Maße die Daten Eurer SchülerInnen. Ich nutze beispielsweise auch ein Videokonferenztool. Allerdings nicht in dem ich mit den Kids befreundet bin, sondern per Link-Einladung. Die SchülerInnen sind vorher gebrieft, Ihre Kamera zu deaktivieren, Fragen in den Chat zu stellen oder ich aktiviere das Mikrofon Einzelner. Die Teilnahme an der Konferenz bleibt freiwillig und soll kein Unterrichtersatz sein, sondern ein Miteinander zu aktuellen Fragen. Auch der Chat über den Messenger (es ist definitiv nicht WhatsApp) erfolgt nach Möglichkeit ohne sensible Daten.
Fazit
Wir unterrichten in einer Zeit, in der sich Unterricht von selbst neu findet. Projekte, problemorientierte Aufgaben, fächerübergreifende Themen, gesellschaftliche Relevanz im Klassenzimmer,... das hat jetzt den Fokus und hoffentlich auch in einer Zeit nach der Schulschließung. Und dennoch brauchen wir dafür auch Wissen, brauchen wir Tools und brauchen wir vor allem Selbstständigkeit, Eigenverantwortung der SchülerInnen und ein Soziales WIR aller Beteiligten. Lasst es uns gemeinsam anpacken und viel voneinander Lernen. Dazu gehört auch, sich immer wieder von allen Beteiligten anzuhören, wie es Ihnen geht. Denn eines bleibt am Ende: es kommt nicht auf die Tools an, sondern auf die Krise, die es zu bewältigen gibt. Diese Bewältigung ist wichtiger als all die Machtspielchen, aber am Ende auch wichtiger als die Schulentwicklung, auch wenn die gerade einen ordentlichen Schub bekommt - das war aber auch bitter notwendig.