Vor zwei Jahren haben wir begonnen unseren Unterricht gemeinsam umzudrehen. Anfänglich sieben, nächstes Schuljahr vielleicht zwölf Kollegen erstellen Unterrichtsmaterialien für die digitale Bereitstellung in den jeweiligen "digitalen Klassenzimmern" bei mebis. Das Besondere dabei, es sind zwei Schulen, die mehrere 100 km voneinander entfernt liegen.
Die Basis dafür war das Konzept des Flipped Classroom. Wir mussten uns auf eine Struktur einigen, in der wir flexibel unsere Materialien erstellen aber auch in den Unterricht einbauen konnten. Das war nicht immer leicht, jeder unterrichtet anders. So war und ist es aber auch eine didaktische Bereicherung, Dinge auszuprobieren, die man selbst nicht so gemacht hätte oder auch Inhalte neu zu strukturieren, um sie auf die eigene Klasse abzuändern. Daraus ist in meinen Augen nicht nur ein digitales Klassenzimmer, sondern vielmehr ein Lernbüro entstanden.
Digitales Klassenzimmer als Lernbüro
Anstatt nun in vielen Räumen parallel Materialien zur Verfügung zu stellen, ist alles an einem Ort: auf der Lernplattform mebis, erreichbar orts- und zeitunabhängig auf dem eigenen Smartphone, dem PC der Eltern oder auf dem Tablet, das die Schule leihweise zur Verfügung stellt. Damit können sich jetzt die SuS in ihrem eigenen Tempo selbstorganisiert durch eine Unterrichtssequenz arbeiten und dabei mit Hilfe kooperativer und kommunikativer Prozesse ihren Lernweg individuell gestalten. Diese erzwungene Eigenverantwortung bezüglich des Fortschreitens ist natürlich nicht von Haus aus gegeben, sondern muss durch Feedback-Schleifen, Plenums-Phasen,... immer wieder aufs Neue herausgefordert werden. Der Lehrer rutscht so immer häufiger in die Rolle des Lernbegleiters. Er kann sich um die Schwächeren kümmern und in vielen Einzelgesprächen individuelles Feedback geben. Ein Klassenzimmer reicht für diese Art des Unterrichtens freilich nicht mehr aus, die Lautstärke würde irgendwann stören. Hier stößt man aber auf die Bauweisen von normalen Schulen, weniger fürs Lernen, eher fürs Frontale ausgerichtet.
Gleichzeitig ist diese Selbstorganisation (wo arbeite ich weiter, wo sind meine Lücken, wo hole ich mir Hilfe, was mache ich, wenn ich nicht weiter weiß...) eine gerade für jüngere Schüler schwer zu erreichende Kompetenz. Daher muss einerseits das Material differenziert aufbereitet sein, andererseits aber auch eine Struktur beinhalten, die nachvollziehbar und wiederkehrend erkennbar bleibt. Darüber hinaus braucht es immer wieder Plenums-Phasen, in denen das Arbeiten reflektiert wird und Gelingensbedingungen festgelegt werden können. Das Begleiten der Schüler durch solche konzeptuelle Prozesse, aber auch bei fachlichen Problemen wird zum A und O eines Lehrers in diesem Setting. Das habe ich dank vieler Gespräche mit meinem sehr geschätzten Kollegen und Chef Christian Czaputa für mich erfahren. From Sage on the Stage to Guide on the Side -> das aber immer wieder und auch immer wieder von Neuem.
Auf diesem Weg gilt es viele Hürden zu nehmen und dann darf man von dem Konzept nicht erwarten, dass es innerhalb einiger Wochen greift. Eigenverantwortliches Arbeiten wird vielleicht bei manchen Jahre brauchen oder gar nie erreicht werden. Die Kompetenzen bezüglich Selbstständigkeit, die auf dem Weg dorthin gewonnen werden, sollten aber für die spätere Berufswelt lohnenswert sein. Unabhängig davon können die gefordeten fachlichen Kompetenzen aus dem Lerhplan erfüllt werden.
In unserem Kooperationsprojekt haben wir so gelernt, digitale Lernräume zu gestalten, jeder auf seine Art und Weise ausgehend von einer einheitlichen Struktur. Das ermöglicht es dann auch an der ein oder anderen Stelle, projektähnliche Szenarien einzubauen, die tatsächlich ein eigenverantwortliches Arbeiten ohne festgelegte Ziele beinhalten. Darüber hinaus kann man mit weiterem Fortschreiten auch das vom Lehrer erstellte Material weg lassen und das Sammeln des Materials und Einarbeiten in Themen den SuS überlassen. Meiner Erfahrung nach ist das Didaktisieren von Unterrichtsinhalten aber nur sehr schwer von SuS (Realschule) einzufordern, aber bei bestimmten Themen einen Versuch wert und dann auch lohnenswert.
Digital Lehren und Lernen
Natürlich ist Material, das vom Lehrer zur Verfügung gestellt wird eine Form des lehrerzentrierten Unterrichtens. Deswegen kann es in meinen Augen nicht dabei bleiben, wenn man auch die Kids digital kompetent machen will. Denn auch beim späteren eigenverantwortlichen und projektorientierten Arbeiten wird es ohne digitale Recherche, Kommunikation, Kooperation, Präsentation,... nicht gehen. Daher versuche ich ab der 5. Klasse in meinen Flipped Classroom (Lernbüro?) Tools und Elemente einzubauen, die in dieser Hinsicht das Lernen erleichtern und gleichzeitig die SuS für selbstorganisierte Settings kompetent machen. Das ist manchmal nur ein padelt, ein zumpad, eine Internetrecherche, ein Reflektieren von digitalen Erzeugnissen,... Soll aber dazu führen, dass die SuS lernen, sich auch außerhalb meines Unterrichts zeitgemäß zu organisieren.
Meine persönliche Sternstunde: Meine 8er erstellen bei einem Projekt (Ergebnis und Verlauf offen) als Ergebnis selbst ein Erklärvideo, organisieren Ihre Arbeit über ein ZumPäd und strukturieren darin ihre Arbeitsphasen selbst. Auch wenn es nicht so intensiv ums Video beim Lernen gehen sollte, ist es doch immer wieder ein Bestandteil, am besten in der Schülerproduktion.
Agiles Arbeiten
Ich muss zugeben, dass ich mit dem Begriff noch nicht endgültig zurecht komme. Es versteckt sich in meinen Augen sehr viel dahinter und ist in jedem Konzern anders gestaltet. Letztendlich deckt sich aber vieles mit dem eigenverantwortlichen Arbeiten. Ein Konzern gibt einen Rahmen vor, aus dem heraus Projekte selbstständig herausgenommen, umgesetzt und dokumentiert werden. Diese Struktur des Rahmens muss dicht sein, so dass ein eigenverantwortliches Arbeiten möglich ist und gleichzeitig nichts auf der Strecke bleibt. Dies ermöglicht dann ein orts- und zeuitunabhängiges Arbeiten in Klein- und Großgruppen. Auch hier spielen digitale Kommunikations- und Kooperationswege eine große Rolle und sollten im besten Fall schon in einem gewissen Maße beherrscht werden. Konzerne werden immer globaler und können es sich nicht leisten, dass immer alle den Überblick über alle Projekte haben. Ein gut funktionierendes Unternehmen auf dem globalen Markt muss flexibel sein, muss eigenverantwortliche Mitarbeiter haben, die sich digital und fachlich kompetent in sich ständig ändernden Strukturen zurecht finden. Darauf werden vor allem die Gymnasien und weiterführenden Schulen ihre Lernenden vorbereiten müssen. Aber auch die Realschule wird am Ende dazu ihren Teil beitragen. Das darf dann auch gerne in allen Fächern sein, dies in ein Pflichtfach auszulagern würde der Welt nicht gerecht werden. Jede Disziplin, jedes Fach, jede Lehrkraft kann ihren Teil dazu beitragen, die Schüler von morgen auf deren Berufs- und Arbeitswelt vorzubereiten.
Wir machen das in unserem Projekt, in dem wir ohne uns zu sehen Unterricht vorbereiten für ein Setting, das eigenverantwortliches Lernen ermöglicht. Wir Lehrer lernen gerade, was agiles Arbeiten bedeuten könnte, das können wir in der Form dann vielleicht auch an unsere SuS weitergeben. Auch wenn diese Kompetenzen dann leider bei den Abschlussprüfungen kaum abverlangt werden.